CORPUS BIBLIORUM ÆTATIS REFORMATIONIS
Projektbeschreibung

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Inhalt / Contents
1. Entstehung und Bedeutung der Bibelübersetzungen
2. Verhältnis der Bibelübersetzungen zueinander
3. Das Bibelkorpus der frühen Neuzeit

 

Bibelkorpus der frühen Neuzeit

Die Bibelübersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts als theologische und philologische Kerntexte der frühen Neuzeit

1. Entstehung und Bedeutung der Bibelübersetzungen   Inhalt / Contents

Der Humanismus und die Reformation haben nicht nur eine fundamentale Wende in der Geistes- und Kirchengeschichte Europas herbeigeführt, sondern auch in vielen Regionen Europas einen bedeutsamen Einfluss auf die Ausbildung der jeweiligen Landessprachen ausgeübt.

Begründet ist diese Wirkung einerseits in der Hinwendung zu den hebräischen und griechischen Grundtexten der Bibel, die insbesondere Erasmus durch die zweisprachige Herausgabe des Neuen Testaments im Jahre 1516 gefördert hat, andererseits durch die reformatorische Betonung der Bibel als primäre Quelle des Glaubens und der theologischen Erkenntnis, die in der Herausgabe des September-Testaments Luthers im Jahre 1522 einen bahnbrechenden Ausdruck gefunden hat und von Luther später (u.a. 1530 im Sendbrief vom Dolmetschen) programmatisch begründet wurde.

In weiten Teilen Europas haben diese Impulse zu neuen ‒ und teilweise erstmaligen ‒ Bibelübersetzungen geführt, häufig durch (ehemalige) Wittenberger Studenten oder Mitarbeiter Martin Luthers. In einigen Regionen ist der Einfluss auf die Sprachgeschichte so tiefgreifend, dass die Ausbildung von Nationalsprachen durch das Aufkommen landessprachlicher Bibeln entscheidend geprägt wurde, so z.B. in Deutschland wie auch in Dänemark und Schweden. In Finnland sind mit der Person Mikael Agricolas sogar die Schaffung der finnischen Schriftsprache und die Übersetzung des Neuen Testaments aufs Engste verbunden.

2. Verhältnis der Bibelübersetzungen zueinander   Inhalt / Contents

Die Bibelübersetzung Martin Luthers basiert auf den Grundtextausgaben des Erasmus (NT) und der Soncino-Bibel (AT) sowie der Vulgata. Fast alle deutschen und viele der Übersetzungen in andere europäische Sprachen sind auf unterschiedliche Weise von Luthers Bibelausgaben beeinflusst. Es wurden

•  weite Teile des Luthertextes übernommen (so die katholischen Bibelausgaben H. Emsers, J. Dietenbergers und J. Ecks),

•  mundartliche Übertragungen bzw. Anpassungen vorgenommen (wie für das Niederdeutsche und für das Alemannische, verbunden mit den Namen J. Bugenhagen und H. Zwingli),

•  wortgetreue Übersetzungen des Luthertextes angefertigt (ins Dänische von H. Mikkelsen und ins Schwedische von O. Petri bzw. L. Andreae, vergleichbar auch J. v. Liesveldts Ausgaben in Holland),

•  dem lutherischen Prinzip der Verständlichkeit verpflichtete Übertragungen verfasst (wie M. Agricolas Neues Testament und die ungarischen Übersetzungen), die z.T. auch aus den Grundtexten übersetzt wurden mit der Lutherbibel als Referenz (so z.B. auch die englischen Übersetzungen von W. Tyndale und M. Coverdale).

In weiteren Bibelausgaben ist der Einfluss der Lutherbibel greifbar, wenn auch bisher meist nur ansatzweise untersucht (wie z.B. bei den protestantischen Übersetzungen in die romanischen und slawischen Sprachen).

3. Das Bibelkorpus der frühen Neuzeit   Inhalt / Contents

Die Sprache der genannten Bibelausgaben sowie das Verhältnis der Übersetzungen zueinander konnte bislang meist nur auf der Basis einer exemplarischen Textauswahl bearbeitet werden, da der Aufwand zur Untersuchung sprachlicher Phänomene wie auch der theologisch relevanten Begrifflichkeit ohne computergestützte Methoden sehr hoch ist. Das Bibelkorpus der frühen Neuzeit soll mit der digitalen Bereitstellung und parallelen Darstellung diplomgetreuer Texte eine breit angelegte und verlässliche Basis für eine Vielzahl linguistischer und theologischer Fragestellungen bieten, die Erkenntnisgewinne sowohl für die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft als auch für die kirchen- und theologiegeschichtliche Forschung verspricht.

Eine wissenschaftlich fundierte Textgestalt erfordert als Grundlage eine diplomgetreue Wiedergabe der einbezogenen Bibelausgaben. Für die linguistische Forschung ist darüber hinaus eine Satzabgrenzung und eine Annotation auf Wortebene erforderlich, die im Grundbestand eine Lemma- und Wortartenbestimmung vorsieht und je nach Sprache auch weitere grammatische Daten umfassen kann. Aus einer derartigen Kombination aus Texten und Daten ergibt sich für die Untersuchung der Texte die Möglichkeit,

•  unterschiedliche Darstellungen zu erzeugen (diplomgetreue oder normalisierte Schreibung in seitengetreuer oder versweiser Struktur),

•  mehrere Texte zu vergleichen (einschließlich der Absatzgliederung und aller Marginalien) und

•  linguistische Daten auszuwerten (wie z.B. zur Untersuchung von Phrasenstrukturen).

Die Erarbeitung des Korpus kann auf eine Reihe von digitalisierten Volltexten (im ASCII- oder Unicode-Format) zurückgreifen, die zumeist in normalisierter Form vorliegen und die anhand eines Originaldrucks zu verifizieren und in eine diplomgetreue Textgestalt zu überführen sind. Einige Texte sind als kritische Editionen verfügbar, die ebenfalls für eine Volltext-Digitalisierung genutzt werden können und deren Bearbeitung sich auf eine Überprüfung anhand der Originaltexte beschränken kann. Für die hebräischen, griechischen und lateinischen Grundtexte stehen maschinenlesbare Texte zur Verfügung (wie z.B. der textus receptus), so dass auch hier nur die Abweichungen (insbesondere die häufigen Abbreviaturen) nachzutragen sind. Eine Reihe von Texten sind bisher jedoch weder ediert noch digitalisiert und erfordern eine manuelle Eingabe.

In Deutschland sind die erforderlichen Originaldrucke vieler relevanter Texte in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel oder in der Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart vorhanden, die wesentlichen niederdeutschen Ausgaben in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg.

Die Aufnahme der eingescannten Textseiten eines Originaldrucks in die Textdaten des Projekts ist unter editorischen Gesichtspunkten wünschenswert, wird jedoch aufgrund der erforderlichen Qualität nur in Zusammenarbeit mit einem Partner (Bibliothek und/oder Verlag) möglich sein.

Für die Text-Eingabe, -Bearbeitung und -Überprüfung stehen von Projektbeginn an alle benötigten Hilfsmittel in Gestalt aufgabenspezifischer Programme zur Verfügung, um eine effiziente und einheitliche (XML-basierte) Kodierung aller Textzeichen und -daten zu gewährleisten.

Nach derzeitigem Stand sind drei Projektphasen geplant: Nach einer Vorbereitungsphase soll in den Jahren 2006-2008 zunächst das Neue Testament bearbeitet werden, in der weiteren Phase (2008-2012) das Alte Testament. Für die meisten europäischen Sprachen ist eine Kooperation mit universitären Instituten im jeweiligen Land geplant, für die deutschen Texte wird die Arbeit an Fachinstituten deutscher und schweizerischer Universitäten durchgeführt.

Je nach Vorhandensein und Qualität der Textdaten ist mit unterschiedlichen Bearbeitungszeiten zu rechnen, um das erforderliche Niveau zu erreichen: ein bis zwei Arbeitsjahre für das Neue Testament, zwei bis fünf Arbeitsjahre für das Alte Testament. Sind in einer Sprache mehrere Bibelausgaben vorgesehen, reduziert sich ‒ ausgehend von der für die erste Ausgabe benötigten Zeit ‒ die Bearbeitungszeit für jede weitere Bibelausgabe um 30-60 %.

Die Auswertung der Textdaten wird unter einem einheitlichen Benutzer-Schnittstelle sowohl mit einem lokal verfügbaren Programm wie auch über einen Internetserver möglich sein, wobei folgende Abfragemöglichkeiten zur Verfügung stehen:

•  die Suche nach beliebigen Textpassagen, die bei Auswahl mehreren Ausgaben parallel dargestellt werden,

•  die Suche nach Wortformen (Volltextsuche mit sog. "regulären Ausdrücken") und

•  die Suche nach linguistischen Daten (z.B. Wortarten, Lemmata), auch gleichzeitig in verschiedenen Ausgaben (z.B. zur Untersuchung semantischer oder syntaktischer Aspekte einer Übersetzung) und in linearen Kombinationen (z.B. zur Untersuchung der Rektion und der Phraseologie).

Mit den so gewonnenen Belegen lassen sich im sprachwissenschaftlichen Bereich sowohl synchrone und diachrone als auch übersetzungstheoretische Fragestellungen bearbeiten, darüberhinaus die Ausbildung und Abgrenzung der theologischen Begrifflichkeit sowie die lexikalischen und grammatischen Eigenheiten der Sprache Luthers und anderer Übersetzer. Da die Notwendigkeit zur Begrenzung der untersuchten Textbereiche entfällt, können einerseits Ergebnisse fundierter begründet und andererseits Untersuchungen eher seltener oder nur mühsam eruierbarer Phänomene erstmals durchgeführt werden.

Da die Datenbankstruktur sowohl eine quantitative Erweiterung des Textbestandes (in Gestalt weiterer Übersetzungen) wie auch eine qualitative Vertiefung der weiteren Textdaten (durch Ergänzung weiterer linguistischer und editorischer Daten) erlaubt, stellt das hier beschriebene Projekt eine Infrastruktur für einen sukzessiven Ausbau des Textbesatndes im Rahmen eines langfristig angelegten Forschungsnetzwerkes bereit, das aufgrund seiner Interdisziplinarität einen erheblichen Schub für die linguistische und die kirchenhistorische Forschung erwarten lässt.

Inhalt / Contents
1. Entstehung und Bedeutung der Bibelübersetzungen
2. Verhältnis der Bibelübersetzungen zueinander
3. Das Bibelkorpus der frühen Neuzeit
Juni 2006 – Dr. Wolf‑Dieter Syring, Giselbertstraße 62, D-21614 Buxtehude, Telefon: +49 (0)4161 503913